Die Polizisten mit meiner Brieftasche

Vor einigen Jahren war ich für meinen Roman „69 Stunden ins Paradies“ auf Recherchereise im Senegal. Dabei wollte ich wie hunderte andere kulturbewusste Touristen mit der Fähre auf die sogenannte Sklaveninsel Gorée fahren. Am Fährterminal in Dakar hatten sich unzählige Menschen eingefunden: Händler am Weg zur Arbeit, spielende Kinder, selbsternannte Reiseleiter, Straßenkünstler, die vorhin genannten Touristen, einige zwielichtige Gestalten und – das Ganze gemütlich mit Abstand beobachtend – zwei Polizisten in Uniform und mit Handschellen und Schlagstock.

Wie das halt auf der ganzen Welt so ist: Wo ein Gedränge herrscht, ist auch der Arbeitsplatz für Taschendiebe. Und so dauerte es nicht lange, schrie ein aufgebrachter Tourist auch schon nach seiner Geldbörse und seinem Handy. Einige Frauen in wunderschönen bunten westafrikanischen Kleidern wurden aufmerksam und stürzten sich gemeinsam mit einem dreizehnjährigen Brillenträger auf einen Verdächtigen. Er war tatsächlich der Gauner. Sie hielten ihn fest, bis irgendwann gemütlich die Polizisten dazukamen. Sie legten ihm Handschellen an, nahmen ihn mit und führten ihn aus dem Gedränge. Als sich alles wieder etwas beruhigt hatte, sah ich: Dem jungen Brillenträger war bei seinem Einsatz die Brille zerbrochen. Da er alles andere als wohlhabend wirkte, wollte ich sein Engagement belohnen. Ich griff in die Tasche, um meine Geldbörse herauszunehmen, da merkte ich – auch die war weg! Sofort lief ich den Polizisten hinterher und sah, wie sie gemütlich lachend mit dem mittlerweile handschellenlosen Gauner auf einer Bank saßen und dessen Diebesgut sichteten.
Ich stürzte zu ihnen und erkannte auf Anhieb meine Geldbörse. Auf französisch – das ist neben Wolof die Amtssprache im Senegal – bat ich sie um mein Eigentum. Die Polizisten sahen mich grinsend an und gaben mir zu verstehen, dass sie mich nicht verstünden. Ich zeigte auf die Geldbörse, worin unter anderem ein Foto von meiner Frau und mir war, woran sie mich ja erkennen könnten. Sie aber deuteten nur auf ihre Ohren und schüttelten nicht verstehend den Kopf. Ich war verzweifelt: Wenn mir die Behörde mein Eigentum nicht wiedergeben würde, wer könnte es dann? Bargeld war nicht allzu viel drin, aber immerhin meine Kreditkarte und meine e-card. Letztere schien mir noch unangenehmer als die Kreditkarte, denn ohne sie sah ich mich schon einen monatelangen Bürokratielauf durch Wien machen, um einen Ersatz zu bekommen, wenn ich einmal zum Arzt müsste!
Zum Glück kam nach einigen Minuten der fruchtlosen Diskussion mit den Uniformierten und ihrem grinsenden Kumpan der Dreizehnjährige hinzu. Er erkannte die Situation sofort und begann, auf Wolof zu übersetzen, was nicht übersetzt werden musste. Denn dass mich die Polizisten ebenso wie der Taschendieb von Beginn an bestens verstanden hatten, lag auf der Hand. Der Bub übersetzte immer wieder hin und her, deutete auf die Brieftasche, nannte meinen Namen, erwähnte das Foto, hielt es zum Vergleich neben meinen Kopf und – endlich erhellten sich die Gesichter der Polizisten. Leider, so meinten sie, wäre das Französisch des Monsieurs so akzentbehaftet, dass sie ihn nicht verstanden hätten. Nach Entgegennahme eines räuberisch hohen ‚Finderlohns‘, wie sie die finanzielle Ausbeute ihrer modernen Wegelagerei nannten, gaben sie mir meine Geldbörse zurück.
Ich wollte dem Burschen als Dankeschön ebenfalls etwas geben, doch der wehrte ab: „Monsieur, keinesfalls! Sie sind Gast in unserem Land! Ich will nicht, dass Sie schlecht über uns denken!“ Ich war beeindruckt und schloss den Buben sofort in mein Herz. Und später besuchte ich ihn und seine Familie in ihrem Haus in Pikine.
Doch auch wenn ich durch dieses Abenteuer ein wunderschönes Erlebnis mitnehmen durfte: Die Restitution meines Eigentums hätte ich mir fairer, zügiger und einfacher vorgestellt.

BILD: Isabelle Cannas


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