Edito buntesAT#10



Weltweit nimmt der Prozess der Restitution von afrikanischen Kulturgütern konkrete Formen an, und Regierungen erklären sich bereit, Kunstgegenstände, die aus kolonialen Kontexten nach Europa gelangten, an ihre Herkunftsländer zurückzugeben. Im Januar 2022 beauftragte auch die österreichische Bundesregierung ein Expertengremium mit dieser Aufgabe, das im Juni 2023 einen Handlungsrahmen für die Bestände österreichischer Bundesmuseen aus kolonialen Kontexten der Öffentlichkeit präsentierte. Im Technischen Museum, im Museum für angewandte Kunst und besonders im Weltmuseum (44.700 Objekte) befinden sich Objekte aus kolonialen Kontexten.
Neben Wissenschaftler:innen befassen sich auch afrikanische Künstler:innen intensiv mit der Frage der Relokation von historischen Kunstgegenständen, „Artefakten“, aus Afrika. Dabei spielen sowohl die physische Verlagerung als auch der Umgang mit den Lücken im kulturellen Gedächtnis eine große Rolle. In der aktuellen Ausgabe von buntesAT rücken wir das Thema Restitution in den Fokus und stellen eine Ausstellung vor, die vom Verein Die Bunten im Rahmen des Projekts RG10 Gallery organisiert wird. Die Ausstellung "Restitution: Connecting Generations and Stories" findet in Zusammenarbeit mit LichTraum By Sonia Siblik und finanzieller Unterstützung der Bezirksvertretung in 1010 Wien vom 17. bis 31. Mai 2024 statt.


Zur Ausstellung

Die Ausstellung „Restitution – Connecting Generations and Stories“ beleuchtet das Thema Restitution aus der Perspektive der afrikanischen Diaspora in der bildenden Kunst. Der Begriff „Restitution“ umfasst auf Deutsch verschiedene Bedeutungen wie Rückgabe, Wiederherstellung, Wiedergutmachung und Entschädigung. Hinter diesen Begriffen verbergen sich komplexe, jahrhundertelang implementierte Machtgefälle. Die Ausstellung schafft Raum für die Stimmen und Perspektiven der afrikanischen Diaspora und ihrer Nachkommen. Die teilnehmenden Künstler:innen repräsentieren eine breite Palette von künstlerischen Ausdrucksformen und gehören verschiedenen Generationen an. Ihre Arbeiten reichen von traditionellem Bronzeguss bis hin zu moderner Kunst mit vielfältigen Materialien. Ihre Werke spiegeln eine Vielfalt von Stilen wider, von neo-expressionistisch bis zu typisch afrikanisch-folkloristisch. Die Ausstellung bietet einen Einblick in die Vielfalt und den Reichtum der afrikanischen Kunstszene in Wien und verdeutlicht, dass es keine einheitliche afrikanische Kunst gibt, sondern vielmehr eine Vielzahl von Stimmen und Perspektiven, die zusammen ein reiches und komplexes Bild zu schaffen. Sie zeigt, wie Künstler:innen afrikanischer Herkunft kreative Wege finden, um ihre Geschichte, Identität und Erfahrungen durch Kunst auszudrücken.
Im Zentrum der Ausstellung steht die "Iyagbon"-Maske. Iyagbon, die Mutter Erde, ist eine Göttin im Edo-Pantheon in Nigeria. Als Beschützerin und Bewahrerin aller Lebewesen sowie der Kultur und ihrer Artefakte symbolisiert sie eine bedeutende spirituelle und kulturelle Figur. Der nigerianische Künstler Samson Ogiamien wird eine Replik seiner Originalmaske im Rahmen der Ausstellung „Restitution – Connecting Generations and Stories“ in Wien präsentieren. Zusätzlich wird ein Zusammenschnitt seines Films "Iyagbons Spiegel", den er zusammen mit dem Künstlerkollektiv Onyrikon gedreht hat, in der Galerie gezeigt.

Kulturelle Aneignung

Ein anderes Thema, das wir in dieser Ausgabe streifen, ist das der kulturellen Aneignung. Die Debatte über kulturelle Aneignung im deutschsprachigen Raum wurde in den letzten Jahren vorwiegend durch die Medien bestimmt. Trotz Freude über die plötzliche mediale Resonanz scheinen die Medien ihre Berichte für ihre Dauerempörung über „woke Verbotskultur“ zu nutzen, statt Informationen über die Inhalte und Hintergründe von kultureller Aneignung zu vermitteln.
Von 2016 bis 2023 haben zahlreiche deutschsprachige Medien über das Thema berichtet, darunter renommierte Zeitungen wie die Neue Zürcher Zeitung, Die Zeit, Der Standard und viele mehr. Der Verein "Die Bunten" hat eine Untersuchung dieser Berichterstattung sowie der Forenposts und Kommentare durchgeführt, um die Debatte und ihre Auswirkungen zu beleuchten:
Insgesamt wurden 70 Artikel analysiert, von denen 63 eindeutig einem Autor oder einer Autorin zugeordnet werden konnten. Dabei ist eine deutliche Unausgewogenheit bei der Zugehörigkeit der Autoren und Autorinnen zu kulturellen Minderheiten erkennbar: 49 der Autoren und Autorinnen gehörten keiner kulturellen Minderheit an, während nur 14 dies taten. Dies deutet darauf hin, dass die Debatte oft von Personen geführt wird, die selbst nicht direkt betroffen sind. Die Mehrheit der Forenkommentare und Posts in sozialen Medien lehnt das Konzept der kulturellen Aneignung ab.
Die Debatte um kulturelle Aneignung hat ihre Ursprünge in der postkolonialen Theorie und ist auch eine Fortsetzung der Restitutionsforderungen, die bereits in den 1960er Jahren von Afrikaner:innen gestellt wurden. Im Jahr 1976 hielt Kenneth Coutts Smith einen Vortrag mit dem Titel: „Some General Observations on the Problem of Cultural Colonialism.“ Vor dem Hintergrund der Dekolonisierung des afrikanischen Kontinents beschreibt Coutts-Smith die Verbindung von Kunst, Geschichte und Politik. Ihm zufolge wurde Kunst von den herrschenden Klassen Europas absichtlich in eine Position versetzt, in der sie scheinbar entkoppelt von der Geschichte und Politik existierte. Tatsächlich ist die Geschichte der europäischen Kunst nach Coutts-Smith jedoch eher eine Geschichte der Aneignung als eine Geschichte der Schöpfung. Der Grund dafür ist das spezifisch europäische Bestreben, sich die Kulturen der Welt anzueignen, um als höchste Verkörperung der Kultur im Allgemeinen zu erscheinen.
Die Analyse der Artikel zeigte, dass es ungeachtet der Ursprünge des Begriffs verschiedene Definitionen und Positionen zur kulturellen Aneignung gibt.
Das Konzept der kulturellen Aneignung ist meiner Ansicht nach unbedingt zu befürworten, weil es Menschen im Alltag ermöglicht, sich gegen historische und kulturelle Ungerechtigkeiten zu wehren und Machtungleichgewichte zu bekämpfen. Es versetzt Betroffene ungeachtet der sozialen Klasse, der sie angehören, in eine stärkere Position, um sich gegen hegemoniale Geschichte und Politik zu behaupten.
Bei Interesse an dem Thema kontaktieren Sie bitte den Verein Die Bunten. Wir kommen gerne zu Ihnen, in Ihre Institution oder Ihr Arbeitsumfeld, um uns im Rahmen eines vertieften Impulsvortrags mit anschließendem Gespräch über das Thema der „kulturellen Aneignung“ auseinanderzusetzen.

Ich wünsche eine anregende Lektüre,Madge Gill Bukasa

FOTO: Samson Ogiamien

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