Edito buntesAT#12



Liebe Leserin, lieber Leser,
kein Artikel in dieser Ausgabe bezieht sich auf die anstehende Nationalratswahl. Das liegt nicht an Politikverdrossenheit der Redaktion, sondern mehr an der grundsätzlich politischen Qualität vieler Themen.
Zu meiner großen Freude ist Schriftsteller und Philosoph Gottfried Kinsky-Weinfurter altes, neues Mitglied der Redaktion. Er ist mit drei starken Texten in dieser Ausgabe vertreten und verblüfft rechtzeitig zum Schulanfang mit Wortkreationen wie „Bulimie-Lernen“ (Siehe S.10). NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger könnte Kinskys Vorschlägen für eine Verbesserung des österreichischen Schulsystems einiges entnehmen. Avatare als Lehrerersatz zum Beispiel! Why not?
Der aktuelle SPÖ-Chef, Andi Babler, hat sich von Stunde eins in dieser Position des Themas der Kinderarmut angenommen. Irgendwie liegt die Beschreibung des BIRTH-Events, das junge Kunst und Techno-Musik Anfang August in der ehemaligen Waschküche der Semmelweisklinik vereinte, mit Babler auf einer Linie.
Karl Nehammer meint, der solidarische Wohlfahrtsstaat Österreich und die ÖVP-Pläne zur Arbeitszeitflexibilität seien durch die Ideologie von Karl Marx bedroht. In einem der seltenen Interviews, die Marx am Ende seines Lebens gab, erwiderte er dem späteren Chefredakteur der New York Times auf die Frage „Was ist?“ bloß ein Wort: „Kampf“. Kampf ist eine komplexe Angelegenheit. Komplex ist auch der Text über „Raoul Feuerstein von H.G. Adler (S.11)“ von Ruud van Weerdenburg, in dem es um Brillanz geht.
Werner Kogler und die Grünen werben mit dem Slogan „Wähl Vernunft und Zuversicht“. Sollen wir etwa glauben und beten, dass alles gut geht, wenn wir unser Kreuz am 29. September setzen? Augen zu, Hände falten und durch? Wir sind hier doch nicht in der Kirche. Journalist und Autor Robert Misik witzelte pointiert auf X über das „Euer Wille geschehe“-Wahlplakat der FPÖ: „Für Leute, die sich für Jesus halten, muss es doch irgendwo Hilfe geben.“ Auf die Podcast-Werbung „Im Ernst“ auf der Umschlagseite sei in diesem Zusammenhang hingewiesen.
Jene Parteien, die jetzt noch nicht im Nationalrat vertreten sind und die in den kommenden Wochen auf einen Platz hinarbeiten, sind alle geistreich – um nicht „links“ zu sagen. Das Forderungspaket der Bierpartei erinnert stark an die Vorschläge eines Paul Feyerabend. Die Bürger:innen sollen nicht von Expert:innen regiert werden, sondern unterstützt werden, zu Meinungen zu gelangen, die für sie Gültigkeit haben usw. Es macht Mut und vermittelt Freude, dass eine Partei nicht nur die Inhalte kritisiert, sondern sich vor allem die Strukturen vornimmt. Der Spruch „Eine Politik ohne Politiker“, von Bier-Parteichef Dominik Wlazny auf ihrer Pressekonferenz am 11.07.2024, könnte auch von der Kommunistischen Partei stammen. Der Artikel „Classical queues“ von Karla Mahler (S.12) versucht, Grenzen durch Kommunikation zu durchbrechen.
Bei der heurigen Nationalratswahl tritt ein altes, neues Gesicht an: die Tierschützerin und ehemalige Grünen-Politikerin Madeleine Petrovic. Mit ihrer Liste LMP wirbt sie für mehr Transparenz und Kontrolle, Menschenrechte und Meinungsfreiheit, „…denn das Leben ist vielfältig“ (S.6).
„Keine von denen“ sind die Plakate der Wandel-Partei, die mir schon vor Wochen aufgefallen sind. Wandel-Vorsitzender Fayad Mulla sollte den Artikel „Die Häuser der Exklusivität“ lesen!
Die Ex-Freundin des Frauenmörders Jack Unterweger und prominente Strafverteidigerin Astrid Wagner tritt mit der „Liste Gaza“ an. Weltenbummler, Schriftsteller, Historiker und Ö1-Journalist Gerhard Blaboll beschreibt die Schwierigkeiten bei der Veröffentlichung seines neuen Buchs „Wenn sich zwei streiten, freuen sich viele Dritte“ (S.14). Das Buch wollte zunächst kein Verlag haben, weil es sich weder auf die eine, noch auf die andere Position im Gaza-Krieg einlässt, sondern sowohl den Positionen der palästinensischen als auch der israelischen Seite Gehör gibt.
Sie sehen, letztlich ist diese Ausgabe doch wieder hochpolitisch geworden!
In diesem Sinne wünsche ich eine geistreiche Lektüre!
Madge Gill Bukasa

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