Wenn sich zwei streiten, freuen sich viele Dritte

Diesmal muss ich Ihnen etwas aus dem Alltagsleben eines Schriftstellers erzählen: Ein Buch beginnt ja meistens mit einer ersten Idee. Die kann man sich entweder ausdenken, wenn man zum Beispiel vorhat, Fiktion zu schreiben, oder aber man lässt sich von tatsächlichen Ereignissen inspirieren, die man beobachtet, erzählt bekommt oder im Idealfall sogar selbst erlebt. Ich schreibe in meinen Büchern immer über Tatsachen, weshalb ich mich an die zweite Vorgehensweise halte.

Seit vielen Jahren habe ich immer wieder im Nahen Osten zu tun, und zwar sowohl in Israel wie auch in vielen arabischen Ländern. Das ist spannend und erfrischend für mich, denn ich mag beide Kulturen und verstehe einige ihrer Denkweisen, und die lokale Küche … na, reden wir lieber nicht darüber, sonst finden sich automatisch schon wieder ein paar neue Deka rund um meine Körpermitte.
Es ist also kein Wunder, dass ich viele Inspirationen aus dem Nahen Osten bezogen habe und sich das in meinen Texten spiegelt. Was mich bei der allgemeinen politischen Situation in dieser Region etwas ratlos zurücklässt, ist der Eindruck, dass Streitparteien ihre unterschiedlichen Meinungen oft gar nicht ausräumen wollen und nicht bereit sind, zuzuhören oder zu verstehen. Was sich seit dem 7. Oktober des Vorjahres ereignet, bringt nochmals eine andere Eskalation mit sich, weshalb ich etwas getan habe, wovor mich gute Freunde dringend warnten: Ein Buch über Israel und Palästina zu schreiben, in dem ich in Kurzgeschichten erzähle, wie es zu der Situation gekommen ist, wie sich diese vor Ort darstellt und wie es weitergehen könnte. Dazu habe ich spannende Begebenheiten, die ich in den letzten Jahren in Archiven, Bibliotheken und Gesprächen mit Menschen im ganzen Nahen Osten und in Europa und den USA recherchiert habe, literarisch verarbeitet und das Ganze mit einem bezeichnenden Titel versehen: „Wenn sich zwei streiten, freuen sich viele Dritte – Untertitel: Geschichten aus dem gelobten Land“.

FOTO: „Bring Them Home” Demonstration zur Unterstützung Israels nach dem Hammas-Massaker im Süden Israels und zur Forderung nach der Rückkehr der mehr als 200 von Hammas in Gaza gefangen gehaltenen Israelis.
(15. Oktober 2023)


Das war nicht so einfach, wie es jetzt klingt, denn ich habe versucht, so ausgeglichen und objektiv wie möglich zu schreiben: annähernd gleich viele arabische wie jüdische Geschichten, positive wie negative und männliche und weibliche Charaktere. Irgendwann war ich mit dem Schreiben, Redigieren und Korrigieren fertig und machte mich, wie es eben auch zur Arbeit eines Schriftstellers gehört, auf die Suche nach einem Verlag.
Zuerst sprach ich einen Verlag mit jüdischen Eigentümern in Wien an. Der wiegte anerkennend den Kopf, bestaunte die unbekannten Details der einzelnen Geschichten, lobte die literarische Qualität des Manuskripts, anerkannte meine historischen und regionalen Kenntnisse und – lehnte ab. Wie könne ich denn nur Argumente für die arabische Seite bringen? So etwas sei in einem jüdischen Verlag undenkbar!
Also sprach ich einen arabischen Verlag in Zürich an. Man mag es kaum glauben, aber die Reaktion war dieselbe, bloß umgekehrt: Wie könne ich glauben, dass in einem Verlag mit arabischem Hintergrund Texte gedruckt würden, die Verständnis auch für die jüdische Seite zeigten?
Ich sprach daher mit einem Berliner Verlag, der sich rühmt, auch heiße Themen anzupacken. Dort erhielt ich das übliche Lob für Inhalt und Qualität, aber man lehnte ebenfalls ab. Warum? Weil ich weder Jude noch Araber bin. Was hat das damit zu tun? Wirft man mir kulturelle Aneignung vor, wie das ja in letzter Zeit immer wieder zu hören ist? Aber nein! Mir als Nichtjuden und Nichtaraber würde es kaum möglich sein, das Buch in Talkshows zu bewerben, denn dorthin würden Juden eingeladen, die auf Araber schimpfen oder Araber, die auf Juden schimpfen. Oder noch besser: Juden, die auf Juden schimpfen oder Araber, die auf Araber schimpfen. An Gästen, die ausgeglichen und objektiv über dieses Thema reden, bestünde weder bei Fernsehstationen noch beim Publikum Interesse.
Von zahlreichen weiteren Verlagen, die sich ihren verlegerischen Mut auf die Fahnen schreiben, erhielt ich die üblichen anerkennenden Schulterklopfer, aber man lehnte ab, denn „eingeschlagene Fensterscheiben von Extremisten einer der beiden Seiten“ wollte niemand riskieren. Und das in einer Branche, die mit dem Argument der Verteidigung der Meinungsfreiheit öffentliche Subventionen einfordert? Das klingt für mich irgendwie widersprüchlich.
Ein Verlag, der mich durch gute Zusammenarbeit bereits lange kennt, hat das Manuskript dennoch sehr gerne genommen, und so kommt das Buch im Oktober auf den Markt: „Wenn sich zwei streiten, freuen sich viele Dritte“.
Was mich aber nachdenklich macht: Ist unsere Konfliktkultur tatsächlich bereits so sehr geschrumpft, dass wir andere Meinungen nicht mehr aushalten können? Ein Blick nicht nur in die österreichische Innenpolitik scheint das zu bestätigen. Die Generation jener Politiker:innen, die sich bei unterschiedlichster Weltanschauung plötzlich gemeinsam in einem KZ wiedergefunden hat, weil sie sich gegeneinander aufhetzen und ausspielen hat lassen, ist mittlerweile verstorben. Die heute in Verantwortung stehenden Politiker:innen verfallen in dieselben Muster wie ihre Vorgänger der 1920er-Jahre. Das finde ich nicht gerade ermutigend, wenn ich an unsere Zukunft denke.
Gleichzeitig weiß ich aber: Jedes Volk in einer Demokratie hat die Politiker:innen, die es verdient, denn sie sind gewählt, warum auch immer. Damit sind sie Repräsentant:innen und Spiegel dieses Volks, und zwar auch den Umgang mit anderen Meinungen betreffend. Wäre es da nicht dringend an der Zeit, dass uns allen klar wird: Auch andere Meinungen können ihre Berechtigung haben. Lehnen wir sie nicht ab, bloß weil sie von anders Denkenden kommen! Hören wir zu, reden wir darüber! Denn große Konflikte beginnen mit kleinen Anlässen! Wer es nicht glauben kann, dem sei ins Bewusstsein gerufen: Auch Wolkenkratzer haben einmal als Keller angefangen.
Lassen wir es daher nicht zu, dass wir nicht mehr miteinander reden! Lassen wir es zu, zuzuhören! Lassen wir es zu, dass Friede ausbricht!
FOTO:Kundgebung für Palästina in Columbus
(12. Oktober 2023)


„Wenn sich zwei streiten, freuen sich viele Dritte”
Geschichten aus dem gelobten Land
ISBN 978-3-99137-076-5
250 Seiten
19,90 €
Herausgeber:Berger & Söhne, Ferdinand
www.verlag-berger.at

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