Internationaler Gipswechsel


Vor vielen Jahren war ich infolge eines Achillessehnenrisses ziemlich lange in der Unfallchirurgie eines Wiener Krankenhauses. Ich will jetzt nicht ins Detail gehen, aber es ist laut Eigendefinition das größte und modernste Spital Mitteleuropas mit den meisten Patienten Mitteleuropas und den meisten Angestellten Mitteleuropas, die wiederum die meisten Sprachen in einem mitteleuropäischen Spital beherrschten. Darüber hinaus beherbergt es eine medizinische Universität. Also, das klingt nicht schlecht, wie ich finde.
Weil es zu dieser Zeit einen Streit zwischen dem mich aufnehmenden Oberarzt und seinem vorgesetzten Primar gegeben hat, war meine medizinische Versorgung leider nicht ganz so, wie man sie aufgrund der selbstbewussten Eigendefinition dieses Krankenhauses erwarten würde. Aber davon will ich jetzt nicht erzählen, und außerdem habe nicht nur ich dort eine suboptimale Betreuung erlebt, sondern auch andere. Da war etwa ein junger Bursch namens Mustafa, ein netter, sympathischer, höflicher Kerl. Der hatte mit einigen Altersgenossen in der Lugner-City eine körperliche Auseinandersetzung bezüglich des Eintritts in das dort befindliche Kino. Wer angefangen hat, weiß man nicht; jedenfalls ist dieses Ländermatch mit einer krachenden Niederlage Mustafas ausgegangen. Also, krachend im wahrsten Sinn des Wortes: Er hat den schnellsten, also den wirklich allerschnellsten Weg über die Stufen hinunter ins Erdgeschoß genommen und eine Stunde später schon hatte ich einen neuen Zimmerkollegen. Verdacht auf Genickwirbelbruch! Nicht witzig, gar nicht witzig! Na ja, Freund Mustafa, der ab da täglich von seiner nicht unbedeutend großen Familie besucht wurde, lag vier Tage lang neben mir mit einer Halskrause im Zimmer und wartete auf einen MRT-Untersuchungstermin. Immerhin: Es könnte ja sein Genick gebrochen sein! Zum Glück war das nicht so und er ist nach vier Tagen pumperlgsund heimgegangen. Ich finde, das war eine reife Leistung für das größte und modernste Spital Mitteleuropas …
Als ich dann nach mehreren Operationen irgendwann in ambulante Behandlung überwiesen wurde, musste ich wöchentlich einmal ins Spital, um den Gips wechseln zu lassen. Die Pfleger in der Gipsstation waren ausgesprochen fleißig und freundlich und ständig unter Zeitdruck. Einmal habe ich dort einen freundlichen Patienten mit Blumenstrauß und Gipsarm gesehen. Als sein Name aufgerufen wurde, meldete er sich und versuchte, den Pflegern etwas mitzuteilen. Von denen verstand aber keiner seine Sprache. Daher begannen sie, den Gips abzuschneiden. Sofort setzte sich der Patient heftig dagegen zur Wehr. Er zeigte seinen Reisepass vor. Die Pfleger verglichen den durchaus ungewöhnlichen Namen mit ihrer Liste und zeigten sich unbeeindruckt, ja auch leicht genervt. Sie fuhren fort, den Gips abzuschneiden. Der Patient schrie auf, als ob er Schmerzen hätte und deutete auf die geschlossene WC-Türe. So viel Zeit hatten die Pfleger aber nun nicht mehr. Während einer den Renitenten fest hielt, trennte der andere den Gips vom Arm, und nur fünf Minuten später hatte er auch schon einen neuen Gips. Und dann endlich, dann kam die Gattin des Patienten von der Toilette. Sie trug einen Arm im Gips und erkundigte sich, ob sie hier für den geplanten Gipstausch richtig sei. Sie hätte nämlich heute Geburtstag und ihr Mann hätte sie deshalb zum Gipstausch begleitet. Na ja, dann trugen sie eben für die nächsten Tage Partnerlook – jeder einen frischen Gips.
Ja, so schnell kann’s halt gehen, wenn das babylonische Sprachenwirrwarr zu groß wird.

FOTO: Jonny Blue

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