Jimi Hendrix Fresko vor dem Aus


Meistens tief in der Nacht, unter den schützenden Augen des Musikers Jimi Hendrix, wenn jemand im Q, dem Nachtclub und Kultlokal in der Luthergasse 4 Graz, ein Glas Rotwein trinkt, dann überfallen einen trotzdem noch einige Gedanken, die man nicht unbedingt brauchen kann. Keiner von den Tanzenden, Trinkenden oder Liebkosenden weiß noch, wer hinter dieser Maske da oben gelebt hat und dennoch wirkt jede Nuance von dem rauchenden Afro-Amerikaner mit an der Verinnerlichung der ausgelebten Ekstase. Vielleicht waren die Fähigkeiten des Malers auch nicht wirklich ausreichend. Der Hintergrund des Wandgemäldes besteht jedenfalls aus einem Feld voller Marihuanapflanzen. In die dargestellten Rauchkurven sind Akkorde eingewoben. Auf mein Ansuchen mixt der DJ das Lied „Lord knows that I am a voodoo child...“ in das andere. Ein aufhellender Blitz in dem Gewitter des elektrischen Gitarren-Fegefeuers. Das Fundament für die Befreiung der E-Gitarre war von Hendrix bereits 1967 mit seiner Gruppe „Jimi Hendrix Experience“ kreiert worden. Die Feiernden wissen nicht, dass ohne den Gitarristen, mit dem ich hier in ein luftiges Gespräch verwickelt bin, keiner der Heavy-Metal-Artisten in der Lage gewesen wäre, auch nur einer Saite ihres Instruments die richtige Nuance zu entlocken. Er hat sie alle schon von vornherein an der Wand gespielt.
James Marshall Hendrix lebte von 1942 bis 1970. Seine Kindheit war nicht beneidenswert. Es braucht offenbar einiges, um die Qualitäten des Voodoos zu entdecken und auszuarbeiten. Acht Monate hatte seine Ausbildung zum Fallschirmjäger gedauert, und wegen einer Verletzung an der Ferse brauchte er nicht mehr rekrutiert zu werden. Wenn er tatsächlich als Soldat seine Zeit verschwendet hätte, hätten wir nie seine musikalischen Leistungen genießen können. Geschickt ist er also aus dem Himmel gekommen, damit er drei Jahre in Aufnahmestudios und auf den Podien arbeiten konnte. Nämlich von 1967 bis 1970. Als schwarze Antwort auf die Irreführung von Krieg und Ausbeutung, von Kirchen und ihrer Buchdruckkunst, nach dem dreijährigen Auftritt des weißen Gotteskindes am Anfang unserer Zeitrechnung.
Das ganze Gewalt- und Kriegs-Elend findet seinen Widerhall in „Machine Gun“. Am Silvesterabend 1969-1970 in Fillmore East in New York gab es ein Konzert von „Band of Gypsys“: Buddy Miles, Schlagzeug, Billy Cox, Bass und Jimi Hendrix Solo-Gitarre. Nach „Who knows“ („They don’t know what I know...!”) kommt das 13 Minuten lange „Machine Gun“.
Liebe gibt es, um widerspiegelt zu werden – und der 27-jährige Komponist und Sänger praktizierte dies aus den sorgfältigst versteckten Nischen. Danach klingt „Message to Love“. Und Jimi zeigt damit auf, wie sehr die Liebe sich schämt für den Widerhall von vielen ihrer eigenen Facetten:
„I’ve got a message to love, don’t you run away I got a lot to give from the mirrors of my hand”.
Nach einigen Jahren, mit Unterbrechungen, face to face mit den Augen des Fallschirmjägers, die am eindringlichsten strahlen, wenn die Nacht sich an ihrem tiefsten Punkt preisgibt, vernehme ich von dem Staff des Q Nachtclub, dass hier bald umgebaut wird und dieses Porträt - „Wen soll das denn darstellen?“, haben sie zu mir gesagt - verschwinden wird.
„When the power of love overcomes the love of power, the world will know peace“, war eine seiner wenigen Aussagen. Er gab lieber das Wort an seine Gitarre.
Buchtipp: Jimi Hendrix: The Man, the Magic, the Truth von Sharon Lawrence. 

FOTO: RuudvWeerdenburg

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