Normalitätsfalle Einsprachigkeit


Mag. Kumru Uzunkaya-Sharma erwarb 2004 ihren Master in Philosophie und Turkologie. Seit 2011 leitet sie eine Kindergruppe, mit Fokus auf mehrsprachige Kindererziehung.

In Ihrem Vortrag beim „Community Forum" im Rathaus schlossen Sie Ihren Redebeitrag damit, die soziale Kompetenz eines Mädchens mit Migrationsbiografie zu betonen. Weshalb war es für Sie wichtig, diese Anekdote zu erzählen?
Die Kinder erwerben Tag für Tag viele Kompetenzen, die nicht in einem Zeugnis aufscheinen. Die Schule erfasst einige, aber noch lange nicht solche Kompetenzen, die sie für die Zukunft brauchen werden. Wenn wir Kinder für die Zukunft ermächtigen wollen, dann müssen wir sichtbar machen, was Schule neben der Messung der Leistungserbringung in den klassischen Fächern noch an Arbeit leistet, die unsichtbar bleibt.
Dieses Mädchen ist von sich aus auf mich zugekommen und hat sich proaktiv nach meinem Wohlergehen erkundigt. Sie ist in Aktion getreten und hat eine Kommunikation in Gang gebracht. Sie hätte sich auch in eine Ecke zurückziehen und über mich tuscheln können. So hätte sie sich noch vor einem Jahr verhalten. Stattdessen hat sie mir ihre Hilfe angeboten. Aber diese Kompetenz musste erst mal in unermüdlichem Praktizieren und Einfordern erworben werden.
In der Schule finden Tag für Tag mit Unterstützung des Lehrpersonals (und dazu zähle ich auch die FreizeitpädagogInnen und NachmittagsbetreuerInnen) wertvolle Entwicklungen statt, von denen wir nicht wissen, welche Bahnen sie ohne Schule eingeschlagen hätten.

In dem Forschungsprojekt INPUT, an dem Sie beteiligt waren, wurde festgestellt, dass Kinder aus türkischsprachigen Familien, die früh und intensiv Kontakt mit der deutschen Sprache haben, diese ab dem Alter von dreieinhalb Jahren besser beherrschen. Geht aus Ihrer Studie auch hervor, inwieweit die Kinder mit Ihren Eltern zu Hause auf Türkisch oder auf Deutsch sprachen? Wenn ja, wie deckt sich dies mit den Ergebnissen über Erfolge im Deutschlernen?
Wir haben im INPUT-Projekt (siehe: https://comparative-psycholinguistics.univie.ac.at/projects/input/) die Kinder eineinhalb Jahre lang begleitet und Videoaufnahmen an regulären Nachmittagen gemacht, wo die Familie nach dem Kindergartenbesuch Zeit mit ihnen verbrachte. Alle Familien gaben bei der Befragung an, mit dem Kind auf Türkisch zu sprechen. Das war eine Bedingung für die Teilnahme am Projekt. Als ein Jahr vergangen war, konnten wir bei der Deutschproduktion der Kinder aus Familien mit einem Bildungsvorteil sehen, dass die Lernkurve rasant angestiegen war. Wir analysierten daher das Sprachmaterial, das zuhause mit dem Kind gesprochen worden war, und fanden heraus, dass alle Eltern mit ihren Kindern so sprachen, wie sie es gewohnt waren zu sprechen. Manche Eltern verfügten über das Wissen und die sprachliche Kompetenz, ihren Kindern neben Türkisch sehr früh schon die Unterrichtssprache Deutsch anzubieten. Manchen Eltern hingegen fehlten dafür simpel das Wissen und die Ressourcen (sprachliche wie auch monetäre) dafür. Sie sprachen mit den Kindern ein einfaches bis einwandfreies Türkisch. Bei diesen Kindern konnten wir entweder ein Wachstum oder eine Stagnation im Türkischwortschatz verzeichnen. Doch wie kamen die Kinder zu ihrem deutschen Input? Die Stagnation im Türkischerwerb zeigt auf, dass manche Eltern sich ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr so viel mit den Kindern beschäftigten. Warum das so war, darüber könnten wir lange spekulieren. Sicher können wir sagen: Die Kinder lernten also immer das, was sie geboten bekamen. Wurde weniger geboten, so stagnierte ihr Wortschatzwachstum.
Wo Eltern Deutsch nicht anbieten konnten, da vertrauten sie auf die Institutionen. Kinder, die zuhause eine andere Familiensprache als die Mehrheitssprache haben, lernen Deutsch fast ausschließlich in den öffentlichen Einrichtungen! Das spiegelt uns, vor welchen Herausforderungen KindergartenpädagogInnen tagtäglich stehen.
Fazit: Die Menge und die Qualität des sprachlichen Inputs auf Türkisch zuhause und Deutsch im Kindergarten machten einen Unterschied. Ein Kind, das bis zum Kindergarteneintritt nur Türkisch gehört hatte, hatte beim Kindergartenstart weit größere sprachliche Herausforderungen zu meistern als ein Kind, das schon einen Umgang im Deutschen gewohnt war.

In Deutschland herrscht die Meinung vor, dass die Förderung der Erstsprache/Muttersprache entscheidend ist, um eine solide Sprachbasis aufzubauen. Es gilt sozusagen das Rezept: Um möglichst gut Deutsch zu lernen, ist eine möglichst gut ausgeprägte Erstsprache/Muttersprache erforderlich. Gibt es da Unterschiede in der Forschung zwischen Ö und DE?
Die Forschung in Österreich hat in unterschiedlichen Werken betont, dass Kinder ohne großen Aufwand mehr als eine Sprache gleichzeitig erwerben können. Erforderlich ist lediglich, dass sie darin auch unterstützt werden, sowohl in Schrift als auch im mündlichen Ausdruck. In der Forschung gehen wir davon aus, dass Lernen nicht an den Ort der Schule gebunden ist. Es gibt eine Art Offenheit für die Welt und eine tägliche Arbeit an der kognitiven Entwicklung der Kinder, der eine grundlegende Empathiefähigkeit seitens der Eltern und eine Fähigkeit der Aufmerksamkeitsteuerung zugrunde liegen. Und dieses Lernen passiert in erster Linie zuhause, und das prägt die Kinder, wie sie sich die Welt erobern. Ein Zuhause, das an das Potenzial eines Kindes glaubt, nimmt eine besondere Haltung in den Gesprächen ein, die ein Lernen ermöglicht. Das Erste, was Kinder von und mit Eltern lernen, ist nun mal das Sprechen. Die Eltern als nächste Bezugspersonen eröffnen ihren Kindern in erster Linie den Weg zum Wachstum in der Sprache. Danach kommt erst die Schule als Ort des Lernens und Wachsens.
Wir können ein Kind nicht 4 Jahre lang ausschließlich in der Familiensprache fördern und dann davon ausgehen, dass das Deutsche innerhalb von kürzester Zeit (in Wien besteht die Kindergartenpflicht mit 4 Jahren) erlernt wird. Die Förderung der Erstsprache im häuslichen Umfeld macht immer Sinn, mit oder ohne Zweitsprache. Aber dass die Zweitsprache erst danach, also erst nach vollendetem Aufbau einer soliden Basis, eingeführt werden solle, ist ein Missverständnis. In Deutschland ist man von dieser Ansicht schon länger abgerückt. In Österreich läuft alles „a bisserl langsamer“.
Mein Türkisch war in meiner Kindheit einfach gestaltet und hat das Vokabular des häuslichen Gebrauchs nicht überstiegen. Türkischen NachrichtensprecherInnen konnte ich nie folgen. Die sprachen für mich eine Fremdsprache. Das hinderte mich aber nicht daran, außerhalb der Familie im Kindergarten Deutsch zu lernen. Peers haben da eine große Rolle gespielt. Ich habe im Laufe der Zeit im Deutschen ein Vokabular entwickelt, das ich im Türkischen nicht hatte. Später hat sich dann dieser Fortschritt im Deutschen wieder auf meinen Wissensdurst im Türkischen ausgewirkt. Ich wollte mir im Türkischen gewisses Vokabular aneignen und habe bewusst die Grammatik von Grund auf neu gelernt, weil es mir ein Anliegen war. Aber das liegt jetzt lange zurück.



Ist es nicht auch wahr, dass die österreichisch-türkische Bilingualität in der breiten Gesellschaft kein hohes Prestige hat, und die Vorstellung, dass Bilingualität eine Hürde sei, hierzulande oft sogar rassistische Untertöne besitzt?
Hinter rassistischen Untertönen steckt nicht zuletzt viel Unwissenheit. Wo Unwissenheit herrscht, macht sich Angst breit. Und: Angst zu haben ist menschlich. Rassistische Untertöne höre ich überall, auch in migrantischen Kreisen, wo es um Differenzen geht. Eine Gruppe schließt sich an einem imaginären Konstrukt orientierend zusammen, um einer anderen Gruppe ihre Höherwertigkeit unter die Nase zu reiben.
Die Abneigung gegen die österreichisch-türkische Bilingualität, von der Sie sprechen, hat einen sozioökonomischen Faktor, der in Ihrer Frage ausgeklammert wird. Abgelehnt wird nicht die türkische Herkunft, sondern der sozial niedrige Status und die Unwissenheit um das kulturelle Erbe. Abgelehnt wird die Unwissenheit, weil sie die eigene Unwissenheit spiegelt, die gerne ganz weit weg in ein Außen verdrängt wird. Wer hierzulande nur eine Sache mehr weiß als ein anderer, kann dem anderen schon etwas vorschreiben.
Die Hürde, die Sie ansprechen, ist eine Hürde des Bildungsgrades. Und ich meine nicht nur die Schulbildung, sondern besonders die Bedeutung, die dem Umgang mit Anderen einen besonderen Stellenwert einräumt. Diese Diskurse kommen viel zu kurz, wenn Angst und ökonomischer Druck aus Menschen eindimensionale und einfältige Bewohner:innen eines staatlichen Territoriums machen, die viel arbeiten und wenig aufmucken sollen und dabei immerzu an die Verteidigung des Territoriums erinnert werden, anstatt an die Tiefe von Beziehungen oder die Qualität des Umgangs miteinander.

Wie würden Sie die historische Stigmatisierung und Ablehnung von Sprachmischungen als Ausdruck von Abweichung von gesetzten Normen und linguistischer Unreinheit in Österreich reflektieren? Wird Code-Switching als polykulturelles Zeichen tendenziell akzeptiert oder eher als Sprachschwäche interpretiert?
Wir haben eine Ära der monolingualen und monokulturellen Gesellschaften erlebt, die jetzt wieder im Wandel begriffen ist. Auch an die Mehrsprachigkeit und Polykulturalität werden sich die Menschen gewöhnen. Es braucht Zeit. Wobei wir uns in Wien glücklich schätzen können. Hier sind schon viele Ansätze des plurikulturellen Lebens entwickelt. Wien lebt schon lange bewusst ein Miteinander der Kulturen. Und a la longue gilt: Wer in der EU ist, kann sich auf Dauer dem Miteinander von plurikulturellen Lebenswelten nicht verschließen. Schon jetzt wäre es die Pflicht eines jeden EU-Bürgers und einer jeden EU-Bürgerin, eine lebende Fremdsprache außer Englisch zu lernen, um den Zusammenhalt in der EU zu stärken und auch wirtschaftliche Synergien zu ermöglichen. So wie ich das sehe, haben mehrsprachige Migrant:innen da eher einen Überschuss als einen Nachholbedarf. Den sehe ich eher bei denjenigen, die sich ein Leben lang mit einer Sprache begnügt haben, dass sie wohlmöglich in die Normalitätsfalle getappt sind. Wer normal sein will, hat ein Land, eine Sprache und eine Identität. Aber so spielt das Leben nicht. Wenn es in der Gesellschaft um Wandel geht, kommen diese Konstrukte ins Wanken. Die Einsprachigkeit ist in meinen Augen eine Normalitätsfalle. Sie kann sich nicht lange halten.
Code-Switching ist ein Phänomen der Multilingualität. Sie ist eine Praxis, die nicht leicht erlernbar ist. Dafür braucht es ein multilinguales Setting, um es zu ermöglichen und auch am Leben zu halten. Ich habe noch nie ein Code-Switching erlebt, wenn es den SprecherInnen klar ist, dass das Gegenüber kein Code-Switcher ist. Code-switchende junge Studierende aus Deutschland habe ich jüngst zwischen Deutsch und Englisch switchen gehört. Das muss jetzt wohl im Trend sein. Auch in Gesprächen mit Jugendlichen finden viele Einwürfe aus dem Slang statt, wie <bro>, <hey Bruder>, <for sure> oder <fix>. Sprache ist ständig im Wandel. Manche Veränderungen halten sich, manche nicht, aber dennoch sind sie Teil des sprachlichen Austausches unter Jugendlichen. Die Ansicht, Code-Switching wäre eine Sprachschwäche, ist antiquiert und gehört in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Doch auch dieses Argument kursiert immer noch. Ich kann da nur sagen: Spread your knowledge!


In der genannten INPUT-Studie wird die Sprachkompetenz der Kinder auf den Bildungsgrad der Eltern zurückgeführt. Wie beeinflusst das soziale Prestige einer Sprache Ihrer Meinung nach die Integration von Sprecher:innen dieser Sprache in die Gesellschaft? Bzw. inwiefern beobachten Sie Unterschiede in der gesellschaftlichen Akzeptanz von verschiedenen Sprachen in Österreich, zum Beispiel zwischen Spanisch und Türkisch? Haben Sie persönliche Beispiele dafür erlebt?
Auffällig war im Input-Projekt neben der Rolle des Inputs das Gewicht der Bildung in den Analysen. Verfügten Eltern über einen akademischen Abschluss (gleich ob dieser in der Türkei oder in Österreich erfolgt war), so führten sie die Kinder viel früher an schulisches Wissen heran als Eltern, für die erst im letzten Kindergartenjahr die Schule in den Fokus rückte. Wurde viel und über längere Zeit mit dem Kind geredet, dann baute das Kind einen Grundwortschatz und Strukturen auf, mit denen es die Welt der Worte entdecken konnte. Nicht zu vernachlässigen ist dabei die Rolle des Feedbacks seitens des Gesprächspartners. Wenn es ab dem Meistern einiger sprachlicher Grundstrukturen immer weniger Gespräche gibt oder weniger auf das kindliche Verlangen, zu sprechen, eingegangen wird, Tabus aufgebaut werden oder Drohungen ausgesprochen werden, lassen die Kinder schrittweise nach, gesprächig zu sein. Wir sehen in den Daten, dass in manchen Haushalten die Türkischentwicklung auch stagniert. Da wird nicht mehr viel gefördert.
Dass die deutschsprachige Welt im Kindergarten von Kindern, die bis dahin eine völlig andere Sprache im häuslichen Umfeld gewohnt waren, erst schrittweise angeeignet werden muss, ist auch verständlich. Da waren im Projekt jene Kinder im Vorteil, die schon über einige Sprachtools im Deutschen verfügten. Sprache ist wie ein Werkzeug. Indem sie dieses Werkzeug einsetzten, konnten sie auch leichter verstehen, wie der Kindergartenalltag ablief, und sich mit den Kindern schnell anfreunden. Kinder, die noch in den Anfangsstadien des Aneignungsprozesses standen, hatten noch einen langen Weg vor sich. Die Daten belegen jedoch, dass Kinder, die früh an Deutsch herangeführt wurden, im Kindergarten eine regelrechte Wortschatzexplosion erlebten, während diejenigen, die erst mit Eintritt im Kindergarten Deutsch lernen sollten, sich noch in einer Orientierungsphase befanden.
Zum Prestige von Sprachen würde ich noch nachfragen: Wie wird das Prestige einer Sprache festgelegt? Für das Prestige einer Sprache müssen immer noch die SprecherInnen der Sprache etwas tun, nicht ihre HörerInnen.
Ich habe in der Schule Englisch, Französisch und Spanisch gelernt. Es hat mein Leben bereichert. Persönlich finde ich es schade, dass ich neben all diesen Sprachen nicht auch Türkisch als Fremdsprache wählen konnte. Jetzt, 40 Jahre danach, sehe ich, dass Türkisch als Maturafach an einer Schule in Wien eingeführt ist. Die Frage ist: Verbaut man sich nicht auch Chancen, indem man Potenzial brach liegen lässt? Wir wissen ja nicht, was an Kooperationen und Vernetzungen möglich wären, wenn wir nicht mal die Bedingungen für diese Möglichkeiten ermöglichen.

In der Türkei wird „schlechtes Türkisch", das oft mit Dialekten gleichgesetzt wird, als minderwertig angesehen. Dies betrifft insbesondere die anatolischen Dialekte, die von türkischen Gastarbeiterfamilien gesprochen wurden. Die beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten und gesellschaftliche Akzeptanz von Personen aus der Türkei sind an ein einwandfreies Standardtürkisch ohne Dialekteinflüsse gebunden. Inwiefern steht dieses Beispiel im Widerspruch zu den propagierten Zielen und Vorstellungen von Mehrsprachigkeit, die die Karrierechancen verbessern?
Wann, was ein Vorteil oder ein Nachteil ist, hängt von der Lage der Machtverhältnisse ab. Wer wo wie zu sprechen hat, hängt vom Kontext ab. Daher hat sich auch ein Register etabliert. Diese erfüllen gewisse Funktionen und können nicht reduziert oder abgeschafft werden. Diese Register kontrollieren Ein- und Ausschlüsse.
Ich habe in der Türkei nie gelebt und kann die Lebensrealität dort nicht nachvollziehen. Von meinem Umfeld kenne ich keine Situation, die ich berichten könnte. Beruflich Karriere machten aber sicherlich auch jene, die kein einwandfreies Türkisch sprachen. Da gibt es etliche Beispiele im künstlerischen Bereich, die durchaus ein breitgefächertes Publikum bedienen.

Wie wichtig ist es, dass Eltern mit ihren Kindern in emotional aufgeladenen Situationen in ihrer Erstsprache/Muttersprache sprechen? Können Sie Ihre Gedanken dazu teilen?
Eltern sprechen intuitiv die Sprache mit ihren Kindern, in der sie sich am wohlsten fühlen. Das ist meine Devise. Auch hier haben die Menschen die Freiheit, sich Experimente zu erlauben. Eltern machen viele Fehler und Kinder verzeihen ihnen vieles. Andererseits lernen Menschen viele Sprachen noch bis ins hohe Alter. Jedoch hindert eine Sprache nie einen Menschen daran, eine Bindung aufzubauen, wenn diese gewünscht ist. Die gleiche Sprache zu sprechen, heißt nicht, dass wir darin notgedrungen auch unsere Bindungen aufbauen können. Sogar ohne die gleiche Sprache kann eine Bindung aufgebaut werden. Denn Sprache heißt nicht nur, dass etwas ausgesprochen oder geschrieben werden muss. Oftmals sprechen Eltern die vermeintlich gleiche Sprache wie die Kinder und sie werden dennoch nicht verstanden.
Wichtig ist meines Erachtens, dass der Austausch stattfindet. Nicht in welcher Sprache. Wenn der Kommunikationsabbruch nichts mehr an Austausch ermöglicht, können wir sprechen, was wir wollen. Da hilft dann vielleicht nur mehr Musik. Vielleicht ist die Sprache der Musik dann die, die eine Bindung erzeugt?

Wie können Schulen und Bildungseinrichtungen dazu beitragen, die Mehrsprachigkeit von Schüler:innen zu fördern und zu unterstützen?
Wenn wir es als Forschungseinrichtungen geschafft haben, mehr in lesbarer Sprache für die in der Praxis stehenden pädagogischen Kräfte formuliert zu haben, haben wir in Punkto innerer Mehrsprachigkeit schon etwas gewonnen. Wenn wir es geschafft haben, pädagogische Kräfte als wertvolle ErzieherInnen wertzuschätzen, sie in ihrer Bildungsarbeit sichtbar zu machen und zeigen, wie viel sie schon jetzt für die zukünftigen WissenschafterInnen von morgen leisten, dann wird hoffentlich ihrerseits auch die Ignoranz gegenüber wissenschaftlichen Forschungsergebnissen zu Gunsten einer praxisbezogenen Verwertbarkeit von Wissenschaft weichen.
Die äußere Mehrsprachigkeit wird erst dann unterstützt, wenn Lehrkräfte mindestens dreisprachig sind. Das ist auch das Ziel der EU. Eine Lehrkraft, die schlechter Englisch spricht als ihr Schüler oder ihre Schülerin, ist nicht geeignet, um in einer mehrsprachigen Schule eingesetzt zu werden. Eine Lehrkraft, die kein zweisprachiges Buch den Kindern vorlesen kann, ist keine große Unterstützung. Die Lehrkraft sollte als Vorbild voranschreiten und durch ihr Tun und Agieren die Kunst der Mehrsprachigkeit vorexerzieren.
Österreich ist mehrsprachig und sollte dazu stehen. Wir müssen uns in Österreich nicht schämen und brauchen uns vor nichts und niemandem zu verstecken. Wir haben mehrsprachige Konstellationen und Lebenswelten in diesem Lande, um die uns Länder im monolingualen Habitus beneiden würden. Denn so etwas lernt man in Österreich nicht erst in der Schule. So etwas muss sich über Jahre etablieren, dass in einem Bus ein Elternteil Polnisch mit seinem Kind spricht, der andere Elternteil spricht Serbisch oder ein anderes Paar unterhält sich auf bulgarisches Türkisch Dennoch können alle in irgendeiner Form eine gemeinsame Sprache haben, wenn nicht sogar zwei gemeinsame Sprachen. Was wäre das für ein Armutszeugnis für Österreich, hätten wir hier wirklich nur eine Sprache?

 FOTO: Kumru Uzunkaya-Sharma

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