Restitutionsdebatte: Gelegenheit die falsche Optik auf Afrika zu ändern

Wir sprachen mit dem Historiker und Publizisten Walter Sauer über Österreichs Umgang mit dem Thema Restitution. Sauer war Mitglied des von Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer eingerichteten Beratungsgremiums zu Beständen österreichischer Bundesmuseen aus kolonialen Kontexten.

Wie bewerten Sie Österreichs bisherigen Umgang mit der Restitution von kolonialen Kulturgütern?
Ziemlich gemischt. Es gab zwar immer wieder Restitutionen, vor allem im Bereich der „human remains“, aber diese waren vereinzelt, und es gab in Österreich keine gesetzliche Grundlage dafür. Wir haben zwar ein Restitutionsgesetz für NS-Kunstraub aus dem Jahr 1998, aber für Kunst aus kolonialen Kontexten gibt es nichts. Die afrikanische Diaspora, Nachfahren aus den Kolonien und auch internationale Organisationen wie die UNESCO haben eine systematische Restitutionspolitik immer wieder gefordert. Aber so etwas ist in Österreich nie passiert. Erst vor zwei Jahren hat Staatssekretärin Andrea Mayer ein Beratungsgremium einberufen, um Empfehlungen für den Umgang mit diesen Kulturgütern abzugeben, die dann in ein Gesetz einfließen sollten. Wenn das durchgeht, dann könnte man sagen, dass Österreich in Bezug auf Restitution einen echten Fortschritt gemacht hat. Das Gesetz war für Anfang 2024 geplant, bisher ist jedoch noch nichts geschehen. Die Zeit drängt, und man kann nicht absehen, ob eine andere Bundesregierung diese Dinge auf dieselbe Weise behandeln würde.

Welche konkreten Faktoren haben Staatssekretärin Andrea Mayer eigentlich dazu bewogen, ein Expertengremium mit der Restitutionsfrage zu beauftragen?
In Frankreich gab es die Empfehlungen des Ökonomen Felwine Sarr und der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, die enormen Druck erzeugten. Dies folgte auf die Erklärung von Präsident Macron in Ouagadougou 2017. Und als dann Länder wie Frankreich und Deutschland begannen, Kunstobjekte aus der Kolonialzeit tatsächlich zurückzugeben, wurde der Druck noch einmal erhöht.

Können Sie uns die Ergebnisse des österreichischen Beratungsgremiums kurz umreißen?
Unsere Empfehlungen sind grundsätzlich restitutionsfreundlich. Erstens legen wir einen Schwerpunkt auf Provenienzforschung und zweitens schlagen wir ein Verfahren vor, wie Restitutionsforderungen betreffend Kunstwerke aus kolonialer Provenienz behandelt werden sollten. Dabei muss es nicht unbedingt um Rückgabe gehen; auch andere Wege der Wiedergutmachung sind denkbar, und diese sind mir persönlich besonders wichtig.

 
Foto: Walter Sauer


Was sind das für andere Wege der Wiedergutmachung?
Die Tatsache, dass sich zum Beispiel die meisten Kunstwerke aus Afrika in europäischen oder US-Museen befinden, spiegelt die Kluft zwischen Nord und Süd in Wissenschaft und Kultur wider. Daher kann es mit der Rückerstattung von „Objekten“ – aus der Sicht von Betroffenen sind es eher „belongings“ – nicht getan sein. Es muss andere Formen der Wiedergutmachung geben, die auf eine Stärkung der wissenschaftlichen und kulturellen Beziehungen hinauslaufen, zum Beispiel Universitäts- und Bibliothekspartnerschaften, Stipendien oder die Unterstützung von Museen im globalen Süden. Diese Unterstützung könnte etwa aus dem EZA-Budget kommen. Österreich hat 2024 immerhin das Budget für postkoloniale Provenienzforschung auf 320.000 Euro jährlich verdoppelt. Damit werden wichtige Projekte realisiert.

Wie hinderlich war für den Restitutionsprozess die Tatsache, dass Österreich keine Kolonien hatte?
Das war eine große Diskussion im Vorfeld. Das Mandat des Kulturministeriums für das Expertenkomitee enthielt bereits die Formulierung, dass Österreich vielfältig in Kolonialismus involviert war und – wie ich hinzufügen würde – massiv davon profitiert hat. Zwar hatte Österreich-Ungarn selbst kaum Kolonien, aber die österreichischen Museen sind voll von Objekten aus kolonialen Kontexten. Irgendwie müssen sie ja dort hingekommen sein.

Weil Österreich auf dem internationalen Kunstmarkt eingekauft hat, wo um die Jahrhundertwende die geraubten Kunstwerke verkauft wurden?
Ja, aber nicht nur. Es gab zahlreiche österreichische Forschungsreisende, die von ihren Expeditionen in großen Mengen Objekte mitgebracht haben. Diese sind dann in die Bestände der heimischen Museen aufgenommen worden. Meistens ist unklar, auf welche Weise sie erworben wurden – daher ist Provenienzforschung wichtig.

Man trifft immer noch oft auf die Meinung, dass Restitution keine gute Idee sei, weil die afrikanischen Länder nicht gut auf ihre Kunstwerke achten könnten. Obwohl Expert:innen diese Argumente widerlegt haben, hält sich diese Sichtweise hartnäckig in der breiten Öffentlichkeit. Die Gegendarstellungen haben sich in den Medien nicht durchgesetzt. Warum ist das so?
Das hat, denke ich, viel mit dem immer noch herrschenden Afrikabild zu tun. Der mediale Mainstream ist immer noch der Meinung, Afrika habe keine Geschichte gehabt, keine Kunst. Diese falsche Optik muss geändert werden, und dafür ist die Restitutionsdebatte eine gute Möglichkeit.
Abgesehen davon stimmt das Argument auch nicht. Das Königreich Benin in Nigeria hat über Jahrhunderte Bronzeskulpturen ohne Probleme aufbewahrt. Das heißt, sie haben schon bewiesen, dass sie ganz gut auf ihre Kunstwerke aufpassen können. Abgesehen davon stellt sich auch die Frage, was wir unter Kunst verstehen. Das vorkoloniale Afrika hatte einen anderen Kunstbegriff als den, den man sich hier unter Kunst vorstellt. Der Kunstbegriff an sich ist schon sehr europäisch.

Restitution stellt völlig neue Beziehungen zwischen den afrikanischen Ländern und dem Rest der Welt her. Sehen Sie in der Restitution auch eine Chance für bilaterale Annäherung im Sinne der Wiedergutmachung von historischen Ungerechtigkeiten?
Eine Chance schon, aber in Österreich wurde sie bisher kaum genutzt. Ich würde das gerne am Beispiel des südafrikanischen Ehepaares Klaas und Trooi Pienaar erklären. Der österreichische Anthropologe Rudolf Pöch, der später zu einem anerkannten Wissenschaftler aufstieg, verbrachte von 1907 bis 1909 Zeit in Südafrika, wo er menschliche Überreste aus frischen Gräbern entweder selbst raubte oder von Banden entwenden ließ und sie zu Forschungszwecken nach Österreich verschiffte.

Ohne das Wissen der Familie!
Mit Wissen der Familie! Die Familien waren ja Zeugen der Grabschändungen, die Kriminellen, die die Gräber für Pöch aufbrachen, bedrohten sie mit Gewehren, und sie mussten praktisch untätig zuschauen. Diese Brutalität muss man sich einmal vorstellen!
An der Pienaar-Restitution, die 2012 erfolgte, waren wir – SADOCC – maßgeblich beteiligt. Ohne uns wäre das nicht passiert, weil nämlich weder die österreichischen noch die südafrikanischen Behörden ein Interesse daran hatten. Wir haben das aber durchgesetzt, und die leiblichen Überreste wurden rückgeführt samt Entschuldigung von Österreich, und in Südafrika gab es ein Staatsbegräbnis.

Wo waren die Überreste gelagert?
Sie wurden von Pöch der Akademie der Wissenschaften übermittelt, waren jedoch im Naturhistorischen Museum gelagert. Es wurde im Zuge der Rückführung des Ehepaares Pienaar vereinbart, dass Österreich und Südafrika enger zusammenarbeiten würden. Da passierte jedoch zunächst nichts. Erst seit kurzem erarbeitet Österreich eine Afrikastrategie, von der noch wenig bekannt ist. Aber immerhin wurde 2023 ein Kulturforum in Pretoria eröffnet, was wir schon 2012 gefordert haben. Hintergrund ist wohl, dass der Westen sich afrikanischen Ländern stärker annähern will, weil man aufgrund der BRICS plus-Entwicklung fürchtet, China und Russland würden sich zu sehr auf dem afrikanischen Kontinent ausbreiten. Über diese Beweggründe kann man natürlich verschiedener Meinung sein, aber die Verstärkung der bilateralen Beziehungen geht immerhin in eine richtige Richtung. Jetzt wäre es wichtig, dass auch Forschung ausgetauscht wird, dass junge afrikanische Forscher:innen nach Österreich kommen, dass man Projekte unterstützt usw. Da ist noch wenig Konkretes passiert.

Das Gesetz für Restitution von Objekten aus kolonialen Kontexten sollte im ersten Quartal 2024 fertig sein. Wie hoch sind die Chancen, dass die jetzige Bundesregierung in ihrer Legislaturperiode noch einen Gesetzesentwurf vorlegt?
Wie gesagt, die Zeit drängt, zumal man ja nicht absehen kann, wie eine nächste Bundesregierung diese Dinge behandeln wird. Ich hoffe, dass unsere Empfehlungen noch in dieser Legislaturperiode in ein Gesetz einfließen werden. Und dabei geht es übrigens nicht nur um die physische Rückgabe von kolonial erworbenen Objekten. Man könnte sich einvernehmlich auch überlegen, bestimmte Objekte in afrikanisches Eigentum zu übertragen, sie aber physisch in Österreich zu belassen, etwa für Zwecke der außereuropäischen Bildung. Das jeweilige Eigentümerland würde dann an den Einnahmen aus Eintrittskarten, Katalogen, Copyright-Gebühren usw. beteiligt werden müssen. Hier gäbe es viele Möglichkeiten, aber wir brauchen eine gesetzliche Grundlage dafür.

Interview: Madge Gill Bukasa 


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